Da ich mich seit einigen Jahren im Rahmen meiner Dissertation intensiv mit dem so genannten „Bolivarianischen Prozess“ in Venezuela auseinandersetze, habe ich den Artikel „Das Dilemma des Hugo Chavez“ in der September-Ausgabe mit großem Interesse gelesen. Leider wurden meine Erwartungen so enttäuscht, dass ich das Bedürfnis verspüre, Euch dies mitzuteilen. Der Artikel wird keineswegs einer seriösen journalistischen Auseinandersetzung mit der äußerst komplexen soziopolitischen Dynamik in Venezuela gerecht. Er beschreibt richtig die zahlreichen Schwierigkeiten, denen sich „el proceso“, wie er in Venezuela genannt wird, gegenüber sieht, analysiert aber nicht die Frage des Warum und woher diese Schwierigkeiten kommen. Ebenso wenig setzt er sie zur Ausgangslage vor dem Beginn des Prozesses in Relation. Übrig bleibt nicht viel mehr als billige anti-chavistische Propaganda, wie sie einem durchreisenden Journalisten schnell mal ein paar lokale, der Opposition nahe stehende Wissenschafter/innen auftischen, glaubhaft mit „objektivem“ statistischem Material unterlegt. Übrigens stehen in Venezuela, dessen Bildungssystem traditionell den Eliten vorbehalten ist, die meisten Wissenschafter und Intellektuellen der Opposition nahe. Es gibt jedoch auch andere – die zu interviewen hat sich der Autor Knut Henkel wohl nicht die Mühe gemacht.
Ein solcher Journalismus wird dem komplexen und widersprüchlichen Prozess in Venezuela keinesfalls gerecht. Ganz im Gegenteil bleibt nach dem Lesen der bittere Nachgeschmack, dass nicht nur der bolivarianische, sondern mit ihm jeder soziale Prozess, der die Reichtümer eines Landes gerecht verteilen will und damit notgedrungen auf Schwierigkeiten stößt, lächerlich gemacht werden soll. Schade, dass Ihr einen so oberflächlich recherchierten und letztlich tendenziösen Artikel im Südwind veröffentlicht.
Margarita Langthaler
öfse, 1090 Wien